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Автор Себастьян Фитцек

Sebastian Fitzek

Der Augensammler

Psychothriller

TUX - ebook 2010

DER AUGENSAMMLER

In Erinnerung an Rüdiger Kreklau Es sind die Phantasten, die die Welt verändern, und nicht die Erbsenzähler.

Spielen ist Experimentieren mit dem Zufall.

Novalis

It’s the end where I begin.

The Script

Epilog

Alexander Zorbach (Ich)

Es gibt Geschichten, die sind wie tödliche Spiralen und graben sich mit rostigen Widerhaken tiefer und tiefer in das Bewusstsein dessen, der sie sich anhören muss. Ich nenne sie Perpetuum morbile. Geschichten, die niemals be gonnen haben und auch niemals enden werden, denn sie handeln vom ewigen Sterben. Manchmal werden sie einem von einer gewissenlosen Per son erzählt, die sich an dem Entsetzen in den Augen ihres Zuhörers ergötzt und an den Alpträumen, die sie mit Si cherheit auslösen werden – nachts, wenn man alleine im Bett liegt und die Decke anstarrt, weil man nicht schlafen kann. Hin und wieder findet man solch ein Perpetuum morbile zwischen zwei Buchdeckeln, so dass man ihm entfl iehen kann, indem man das Buch zuschlägt. Ein Ratschlag, den ich Ihnen jetzt schon geben möchte: Lesen Sie nicht wei ter! Ich weiß nicht, wie Sie an diese Zeilen geraten sind. Ich weiß nur, dass sie nicht für Sie bestimmt sind. Das Proto koll des Grauens sollte niemandem in die Hände fallen. Nicht einmal Ihrem größten Feind. Glauben Sie mir, ich spreche aus Erfahrung. Ich konnte die Augen nicht schließen. Das Buch nicht weglegen. Denn die Geschichte des Mannes, dessen Tränen wie Blutstropfen aus den Augen quellen – die Geschichte des Mannes, der das verdrehte Bündel menschlichen Fleisches an sich presst, das nur wenige Minuten zuvor noch geatmet, geliebt und gelebt hat – diese Geschichte ist kein Film, keine Legende, kein Buch. Sie ist mein Schicksal.

Mein Leben. Denn der Mann, der am Höhepunkt seiner Qualen erken nen musste, dass das Sterben erst begonnen hat – dieser Mann bin ich.

Letztes Kapitel. Das Ende

»Schlaf, Kindlein, schlaf. Der Vater hüt’ die Schaf …«

»Sagen Sie ihr, sie muss damit aufhören«, brüllte die Stim me des Einsatzleiters in mein rechtes Ohr.

»Die Mutter schüttelt’s Bäumelein. Da fällt herab ein Träumelein …«

»Sie soll sofort aufhören, dieses verdammte Lied zu singen. «

»Ja, ja. Ist mir klar. Ich weiß schon, was ich zu tun habe«, antwortete ich über das winzige Funkmikrophon, das der Techniker des mobilen Einsatzkommandos mir vor weni gen Minuten an mein Hemd gepappt hatte und über das ich nun mit dem Einsatzleiter die Verbindung hielt. »Wenn Sie mich weiter so anschreien, reiße ich mir den verdammten Knopf aus dem Ohr, verstanden?« Ich näherte mich der Mitte der Brücke, die über die A100 führte. Die Stadtautobahn, elf Meter unter uns, war mitt lerweile in beiden Richtungen gesperrt – mehr, um die Au tofahrer zu schützen als die verwirrte Frau, die eine Omni buslänge von mir entfernt stand.

»Angelique?«, rief ich laut ihren Namen. Dank des kurzen Briefings, das ich in der provisorischen Kommandozentrale erhalten hatte, wusste ich, dass sie siebenunddreißig Jahre alt war, zwei Vorstrafen wegen versuchter Kindesentfüh rung hatte und von den letzten zehn Jahren mindestens sie ben in einer geschlossenen Anstalt hatte verbringen müssen. Leider hatte ein verständnisvoller Psychologe vor vier Wo chen ein Gutachten erstellt, das ihre Wiedereingliederung in die Gesellschaft empfahl.