Till Eulenspiegel
Herrschaften!
Auch die von euch, die noch in keinem Zirkus waren, werden hoffentlich wissen, was ein Clown ist. Erinnert ihr euch? Clowns, das sind Spaßmacher, die so bunt und ulkig herausgeputzt sind, als ob das ganze Jahr über Maskenball wäre. Sie rennen im Zirkus immer hinter den dressierten Pferden her, wollen aufspringen, fallen in den Sand und überkugeln sich. Sie versuchen Zauberkunststücke, die natürlich nicht gelingen. Und weil die Clowns alles verkehrt machen, lachen sich die Zuschauer schief. Und nun stellt euch einmal vor: Ein solcher Clown ginge eines schönen Tages aus dem Zirkus fort! Ohne einen Pfennig Geld und ohne dem Zirkusdirektor etwas davon zu sagen! In seinem scheckigen, völlig verrückten Anzug! Ohne etwas Richtiges gelernt zu haben; ohne Koffer und Spazierstock; ohne Eltern und reiche Verwandte!
Er ginge ganz einfach aus dem Ort hinaus und wanderte die Landstraßen entlang und quer durch die rauschenden Wälder, bis er in eine kleine Stadt käme. Und dort stünde ein dicker Bäckermeister vor der Ladentür. Der sähe den Clown des Wegs kommen und würde sagen: »Nanu, was bist du denn für eine komische Figur?«
»Ich?«, würde der Clown antworten. »Ich bin ein wandernder Bäckergeselle. Haben Sie vielleicht zufällig eine Stelle frei?« Toll, was? Und nun stellt euch gar noch vor, der Bäckermeister engagierte den wandernden Clown tatsächlich als Bäckergesellen! Einen Kerl, der noch nie im Leben Teig gerührt oder Semmeln, geschweige Apfeltorte gebacken hat! Könnt ihr euch denken, was er anstellen würde?
Unfug würde er anstellen. Nichts als lauter Unfug.
Und wenn er genug Unfug angestellt hätte? Dann würde ihn wahrscheinlich der brave, dicke Bäckermeister hinausfeuern. Und dann müsste er weiterwandern. Bis er in einem anderen Ort vielleicht von einem Schuhmachermeister folgendermaßen angesprochen würde: »Was bist du denn für einer, hm?«
»Ich?«, würde der Clown antworten. »Ich bin ein wandernder Schustergeselle. « Und der Schuhmachermeister würde sagen: »Das ist ja großartig! Mein Geselle liegt im Krankenhaus. Komm herein! Bis morgen müssen zwanzig Paar Stiefel besohlt werden. « Oje!
Könnt ihr mir glauben, dass es so einen merkwürdigen Menschen gegeben hat? Nein? Es hat ihn gegeben! Mein Ehrenwort! Es ist freilich schon lange her. Im Mittelalter, vor sechshundert Jahren, gab es einen Zirkusclown, der durch Deutschland zog und, wohin er auch kam, Unfug anstellte, bis es seinen Landsleuten schwarz vor den Augen wurde.
Dieser Clown hieß Till Eulenspiegel. Und das Einzige, was er außer seinen Possen konnte, war das Seiltanzen. Doch er hatte keine Lust, im Zirkus und auf den Jahrmärkten aufzutreten. Er wollte nicht, dass die anderen über ihn lachten. Sondern er wollte über die anderen lachen.Darum zog er in Deutschland von Ort zu Ort. Und überall, wohin er kam, ergriff er eiligst irgendeinen Beruf, von dem er nichts verstand. Er war nacheinander Bäcker, Schuster und Schneider, Turmbläser, Wahrsager und Arzt, Schmied, Koch und Pastor, Tischler, Fleischer, Heizer und Universitätsprofessor. Es gab kaum einen Beruf, den er nicht gelegentlich ausübte, und keinen Beruf, den er verstand. So war Till Eulenspiegel nicht nur einer der größten Clowns aller Zeiten, sondern bestimmt der eigenartigste. Weil er eben nicht im Zirkus auftrat, sondern mitten im wirklichen Leben! Manche, die er auf diese Weise hineingelegt hatte, lachten hinterher und nahmen ihm seine Streiche nicht weiter übel. Das waren die Gescheitesten. Die meisten wurden aber schrecklich böse auf ihn und ruhten nicht eher, als bis sie sich gerächt hatten. Das war sehr dumm von ihnen. Denn Eulenspiegel hatte ein gutes Gedächtnis. Nach Jahr und Tag tauchte er plötzlich wieder auf und verulkte sie, dass ihnen Hören und Sehen verging. Immer lachte er als Letzter.