Читать онлайн «Die Sakristei des Todes»

Автор Хардинг Пол

Prolog

Der Dominikaner kauerte auf seinem Betstuhl in der leeren Kirche von Blackfriars, und sein Blick huschte hin und her zwischen dem goldverzierten Kruzifix und dem Kiefernholzsarg mit dem Leichnam seines ermordeten Ordensbruders. Bruder Alcuin war unruhig. Er nagte an der Unterlippe und verschränkte die Finger fest ineinander. Egal, was die anderen dachten, er kannte die Wahrheit. Bruder Bruno war brutal ermordet worden. Alcuin war ebenso zornig wie entsetzt: zornig darüber, daß eine so ruchlose Tat in einem Dominikanerkloster begangen werden konnte, und entsetzt, weil er wußte, daß der Mörder eigentlich ihn gemeint hatte. Es war so einfach gewesen. Alcuin hatte eine Mitteilung erhalten, natürlich anonym, in der er aufgefordert wurde, gleich nach der Vesper in die Krypta zu kommen. Verärgert über die Farce, die vor kurzem entdeckt worden war, und den frommen Spott, der hinter all dem stand, war er hingegangen - und hatte Bruno am Fuße der steilen Treppe gefunden, die in die Krypta hinunterführte; sein Genick war verdreht, und sein Hirn gerann in blutigen Pfützen seines zerschmetterten Schädels.

Pater Prior war rasch zu dem Schluß gelangt, daß Bruno auf der obersten Stufe unglücklich ausgeglitten und in den Tod gestürzt war. Aber Alcuin wußte es besser. Irgendwie hatte der Mörder dort gewartet und Bruder Bruno entweder ein Bein gestellt oder ihn die steile, scharfkantige Steintreppe hinuntergestoßen. Das war am vergangenen Abend gewesen. Morgen nach der Frühmesse würden Brunos Dominikanerbrüder das Requiem singen und den Leichnam ihres armen Gefährten hier hinter dem Hochaltar bestatten. Sie würden leise miteinander über Brunos Vorzüge sprechen, und mit der Zeit, vielleicht eher früher als später, würde er in Vergessenheit geraten, und an die Art seines Todes würde man sich nur noch vage erinnern, während sein Mörder triumphierend davonspazierte.

Alcuin blickte auf und starrte das Kruzifix an.

Christus würde das doch gewiß nicht zulassen? Mord war eine der Sünden, die zum Himmel um Rache schrien. Es mußte Gerechtigkeit geschehen. Aber sollte er sich an dieser Gerechtigkeit beteiligen? Wer würde ihm glauben, einem einfachen Sakristan und Kellermeister? Nur er und sein Freund, der uralte Bibliothekar Callixtus, kannten die Wahrheit, aber sie konnten keinen Beweis finden. Der Rest der Klostergemeinschaft würde sagen, sie handelten aus Bosheit, und behaupten, Alcuin sei von einem üblen, verschlagenen Dämon besessen. Vielleicht würde man ihn nach Rom oder nach Avignon schicken, damit er sich vor seinen Oberen verantwortete, oder - noch schlimmer — man würde ihn den Inquisitoren ausliefern, die ihn befragen und verhören und ihm den Prozeß machen würden. Und was dann?

Alcuin wischte sich die Schweißperlen von der breiten Stirn. Sein bleiches, eckiges Gesicht wurde verdrossener, während er in die zunehmende Dunkelheit starrte. Natürlich konnte noch Schlimmeres passieren. Wie Bruder Athelstan würde man ihn aus Blackfriars verbannen und in irgendeine schmuddelige Pfarrkirche schicken, wo er den Ungewaschenen und Ungebildeten als Seelsorger dienen müßte. Ein Lächeln huschte über Alcuins säuerliches Gesicht. »Athelstan, Athelstan«, murmelte er, »warum bist du nicht hier? Ich brauche dich jetzt. Der Orden braucht dich. Christus der Herr braucht deinen durchdringenden Blick und deinen scharfen Verstand. «