Ulrich Plenzdorf
Die neuen Leiden des jungen W
Am Abend des 24. Dezember wurde der Jugendliche Edgar W. in einer Wohnlaube der Kolonie Paradies II im Stadtbezirk Lichtenberg schwer verletzt aufgefunden. Wie die Ermittlungen der Volkspolizei ergaben, war Edgar W. , der sich seit längerer Zeit unangemeldet in der auf Abriß stehenden Laube aufhielt, bei Basteleien unsachgemäß mit elektrischem Strom umgegangen.
Ein Unfall beendet am 24. Dezember das Leben unseres jungen Kollegen
Edgar Wibeau
Er hatte noch viel vor!
VEB WIK Berlin
AGL Leiter FDJ
Völlig unerwartet riß ein tragischer Unfall unseren unvergessenen Jugendfreund
Edgar Wibeau
aus dem Leben.
VEB (K) Hydraulik Mittenberg
Berufsschule Leiter FDJ
Für mich noch unfaßbar erlag am 24. Dezember mein lieber Sohn
Edgar Wibeau
den Folgen eines tragischen Unfalls.
Else Wibeau
»Wann hast du ihn zuletzt gesehen?«
»Im September. Ende September. Am Abend bevor er wegging. «
»Hast du nie an eine Fahndung gedacht?«
»Wenn mir einer Vorwürfe machen kann, dann nicht du! Nicht ein Mann, der sich jahrelang um seinen Sohn nur per Postkarte gekümmert hat!«
»Entschuldige! — War es nicht dein Wunsch so, bei meinem Lebenswandel?!«
»Das ist wieder deine alte Ironie! — Nicht zur Polizei zu gehen war vielleicht das einzig Richtige, was ich gemacht hab. Selbst das war schließlich falsch. Aber zuerst war ich einfach fertig mit ihm. Er hatte mich in eine unmögliche Situation gebracht an der Berufsschule und im Werk. Der Sohn der Leiterin, bis dato der beste Lehrling, Durchschnitt eins Komma eins, entpuppt sich als Rowdy! Schmeißt die Lehre! Rennt von zu Hause weg! Ich meine…! Und dann kamen ziemlich schnell und regelmäßig Nachrichten von ihm. Nicht an mich. Bewahre. An seinen Kumpel Willi. Auf Tonband.
Merkwürdige Texte. So geschwollen. Schließlich ließ sie mich dieser Willi anhören, die Sache wurde ihm selber unheimlich. Wo Edgar war, nämlich in Berlin, wollte er mir zunächst nicht sagen. Aus den Tonbändern wurde jedenfalls kein Mensch schlau. Immerhin ging so viel daraus hervor, daß Edgar gesund war, sogar arbeitete, also nicht gammelte. Später kam ein Mädchen vor, mit der es dann aber auseinanderging. Sie heiratete! Solange ich ihnStop mal, stop! — Das ist natürlich Humbug. Ich hatte ganz schön was mit Mädchen. Zum erstenmal mit vierzehn. Jetzt kann ich's ja sagen. Man hatte so allerhand Zeug gehört, aber nichts Bestimmtes. Da wollte ich's endlich genau wissen, das war so meine Art. Sie hieß Sylvia. Sie war ungefähr drei Jahre älter als ich. Ich brauchte knapp sechzig Minuten, um sie rumzukriegen. Ich finde, das war eine gute Zeit für mein Alter, und wenn man bedenkt, daß ich noch nicht meinen vollen Charme hatte und nicht dieses ausgeprägte Kinn. Ich sag das nicht, um anzugeben, sondern daß sich keiner ein falsches Bild macht, Leute. Ein Jahr später klärte mich Mutter auf. Sie rackerte sich ganz schön ab. Ich Idiot hätte mich beölen können, aber ich machte Pfötchen wie immer. Ich glaube, das war eine Sauerei.